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Menschen bleiben nicht mehr stehen, während sie tippen
Die wichtigsten Ergebnisse meiner Dissertation (04.11.2019)
Förderjahr 2018 / Stipendien Call #13 / ProjektID: 3148 / Projekt: Mental Resources and Context in Mobile Interaction

Klassischerweise beschäftigt man sich zu Beginn einer Dissertation mit dem Austüfteln und Formulieren relevanter Forschungsfragen. Nach Beendigung des Forschungsteils sollten dann Ergebnisse vorliegen, die die zuvor gestellten Fragen beantworten.

Doch dies ist eine sehr ideelle Sicht auf Forschung, denn meistens kommen keine vollständigen Antworten auf die Fragen heraus, sondern Teilantworten, neue Einsichten oder überraschende Wendungen. Bestenfalls wird das Diskussionskapitel, in dem man Fragen, Methodik und Antworten ausführlich und kritisch darstellt, das interessanteste Kapitel der Arbeit.

Meine Forschungsfragen drehten sich darum, ein tiefergehendes Verständnis von Kontext, internem Zustand der Nutzer_innen und mobiler Interaktion zu gewinnen. Ein besonderes Augenmerk wurde dabei auf das Auftreten von Nutzungsfehlern gelegt. Im Folgenden möchte ich gerne die Ergebnisse meiner Arbeit, nach Forschungsfragen gegliedert, präsentieren.

Forschungsfrage 1: Wie können die drei Faktoren Kontext, Zustand der Nutzer_innen und Interaktionen in Feldstudien erfasst werden?

Am Anfang stand die Methodik, denn ich wollte eine Menge Sachverhalte in Feldstudien untersuchen, aber wusste nicht wie. Es ist überraschend (oder auch nicht), wie schwer manche Faktoren exakt und möglichst standardisiert zu erfassen sind, wenn Menschen sich draußen bewegen.

Eine erste Idee war, einfach die vorhandenen Sensoren des Smartphones zu nutzen, um grundlegende Kontext- und Interaktionsdaten zu messen. So entstand das CoConUT-Framework, welches ich in einem vorherigen Blogbeitrag ausführlich beschrieben habe, und welches den methodische Kernbeitrag meiner Dissertation darstellt. Eine weitere wichtige Erkenntnis war, dass sich off-the-shelf Fitnesstracker für Sportler_innen sehr gut eignen, um unterwegs Herzratendaten zu erfassen. Mit diesen Daten kann der interne Zustand der Nutzer_innen gemessen werden, in meinem Fall mithilfe der Anbindung eines Fitnessbrustgurts an die CoConUT-App.

Forschungsfrage 2: Welche Kontextfaktoren beeinflussen mobile Interaktion im Feld und in welchem Ausmaß?

Wenn wir unterwegs sind und dabei über unser Smartphone kommunizieren, werden wir in verschiedenen Kontexten unterschiedlich abgelenkt. Aber welche Kontexte sind dies, und wie wirken sie sich aus? Um diese Frage zu beantworten, habe ich zwei Feldstudien durchgeführt und mir das Tippverhalten auf dem Smartphone angeschaut. Natürlich ist es utopisch, alle möglichen Kontexte zu untersuchen. Deswegen habe ich mir insbesondere typische Pendler_innenszenarien angeschaut, wie das Gehen auf dem Gehsteig, Fahren mit der Straßenbahn und Warten an der Haltestelle.

Die wichtigste Erkenntnis meiner Arbeit ist hierbei, dass Menschen nicht mehr stehen bleiben, während sie tippen. Vor 15 Jahren noch zeigte eine Studie von Oulasvirta et al. [1], dass Menschen stehen bleiben, um auf ihr Handy zu schauen und zu tippen. Heutzutage ist die Gewöhnung an die Nutzung von mobilen Geräten so weit fortgeschritten, dass Menschen im Gehen Tippen und so teilweise die Aufmerksamkeit größtenteils auf dem Gerät bleibt. Das Stresslevel dabei steigt und auch die Anzahl der Fehler steigt mit dem Stresslevel, aber trotzdem scheint der Benefit des Multitaskings größer zu sein.

Forschungsfrage 3: Wann passieren welche Arten von Nutzungsfehlern im Feld?

Fehler habe ich auf drei verschiedenen Ebenen untersucht: Flüchtigkeitsfehler, Fehler beim Ausführen von Problemlösungsstrategien und Fehler im „Bild im Kopf“ (mentales Modell) von der Software. Hier möchte ich die Flüchtigkeitsfehler hervorheben, vor allen Dingen Tippfehler bei mobilem Tippen auf einer Smartphone-Tastatur. Meine Ergebnisse zeigen, dass bei einem hohen Stresslevel auch die Fehlerrate beim Tippen unterwegs steigt. Das heißt, dass gestresstere Personen auch mehr Tippfehler machen.

Abschließendes Fazit

Insgesamt lässt sich sagen, dass meine Arbeit einen interessanten Einblick in mobiles Nutzungsverhalten gibt. In einer immer stressigeren und schnelleren Welt entwickeln wir stetig unsere Expertise in Bezug auf technische Geräte weiter, stoßen aber auch an unsere Grenzen. Wir können mittlerweile beispielsweise meisterhaft auf unseren Smartphones tippen, geraten aber mitunter beim Tippen in brenzlige Situationen oder haben nicht die notwendige Aufmerksamkeit für perfekte Rechtschreibung oder längere Nachrichten. Eventuell werden neue Technologien wie verbesserte Spracheingabe und -ausgabe an dieser Situation etwas verbessern. Dies bleibt abzuwarten.

[1] A. Oulasvirta, S. Tamminen, V. Roto, and J. Kuorelahti. “Interaction in 4-Second Bursts: The Fragmented Nature of Attentional Resources in Mobile HCI”. In: Proceedings of the SIGCHI Conference on Human Factors in Computing Systems. ACM. 2005, pp. 919–928.

Tags:

MobileHCI Feldstudien Fehler Stipendien

Svenja Schröder

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Skills:

HCI
,
Field Studies
,
Research
,
Psychology
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