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Zivilrechtliche Überlegungen zu personalisierten Preisen
Ein Überblick (14.06.2023)
Förderjahr 2021 / Stipendien Call #16 / ProjektID: 5653 / Projekt: Die Preispersonalisierung im E-Commerce

Der vierte Teil behandelt die zivilrechtlichen Probleme, die sich mit personalisierten Verträgen und Preisen ergeben können. Ein klares Verbot dynamischer und personalisierter Preise lässt sich im Zivilrecht nicht finden, unterliegt die Preisfindung doch weitestgehend der Privatautonomie jedes Verkäufers und wird durch die Erwerbsfreiheit (Art 6 StGG) und die unternehmerische Freiheit (Artikel 16 GRC) bestärkt.

Hier gilt es daher zu klären, welcher zivilrechtliche Rahmen auf personalisierte Preise zutrifft, dies insbesondere im Gegen- bzw. Zusammenspiel von Privatautonomie der Unternehmer und dem Verbraucherschutzrecht. Insbesondere ist hier auf die unterschiedlichen Kategorien möglicher Schutzinstrumente einzugehen, die das europäische Verbraucherschutzrecht kennt, und welche Intensität von Eingriffen in die Privatautonomie zum Schutz des normativen Standardverbrauchers gerechtfertigt scheinen.

Im österreichischen Preisauszeichnungsgesetz finden sich die zentralen Regelungen der Preisausweisung für gewerbsmäßig angebotene Güter. Trotz klarer Regelungen für Inhalt und Art der Preisauszeichnung, wurde hier keine Regelung für die Kennzeichnung individualisierter Preise getroffen.  Trotz fehlenden Verbots können diese neuen Formen der Preisgestaltung und Prognosenbildungen ein großer Eingriff in die Autonomie der Verbraucher sein und das Verhältnis zwischen Unternehmer und Verbraucher zulasten letzterer kippen. Preistransparenz ist ein wesentliches Merkmal des vorvertraglichen Verbraucherschutzes und in zahlreichen EU-Richtlinien enthalten.

Auch die Richtlinie zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der EU-Verbraucherschutzvorschriften („Omnibus-RL“) spricht sich für die Erlaubtheit von personalisierten Preisen aus, fordert jedoch eine vorvertragliche Informationspflicht, die anzeigt, dass der Preis aufgrund einer automatisierten Entscheidung personalisiert wurde. In diesem Zusammenhang werden Effektivitätsprobleme bei der Information und Probleme, die sich mit der Einwilligung bzw dem Rücktritt nach Information ergeben können behandelt.

Durch personalisierte Preise ist zwar der Endpreis transparent kommuniziert, jedoch sind keine Informationen über die Kriterien für das Zustandekommen, noch Vergleichsmöglichkeiten für Konsumenten gegeben. Dies schafft ein Einfallstor für eine verbraucherfeindliche Anwendung personalisierter Preise, da diese ja auch speziell darauf abzielen, den Gewinn zu maximieren und einen möglichst hohen Preis von jedem einzelnen Verbraucher zu verlangen. Dies wird vor allem in Bereichen relevant, in denen wenig Wettbewerbsdruck bzw eine Monopolstellung eines Unternehmers gegeben ist, und der Verbraucher umso abhängiger von der Preisbildung eines Einzelnen ist. Da es sich bei im Online-Verkehr ausgewiesenen Preisen um Aufforderungen zur Abgabe eines Angebots („invitatio ad offerendum“) handelt, ist zu berücksichtigen inwiefern diese bereits rechtliche Wirkung gegenüber dem Verbraucher entfalten können und welche Anforderungen solchen Aufforderungen zukommt.

Laesio enormis

Auch die Verkürzung um die Hälfte nach § 934 ABGB ist in Österreich gegeben, sofern die Leistung nicht einmal die Hälfte des personalisierten Preises erreicht. Maßgebend hierfür ist der objektive Wert im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses. Die Bemessungsgrundlage ist jedoch aufgrund des Fehlens eines Einheitspreises hier nicht so einfach feststellbar: Fraglich ist, ob stattdessen der Durchschnittspreis für das jeweilige Produkt zur Bestimmung herangezogen werden kann.

Irrtum

Auch stellt sich die Frage der Willensbeeinflussung durch personalisierte Werbung sowie welche Voraussetzungen (bzw welche Intensität) dieser Beeinflussung nötig ist, damit diese die Anfechtung eines geschlossenen Vertrags ermöglichen kann. Hier muss die Werbung durch Beeinflussung so irreführend sein, dass diese zu einer Anfechtung nach § 871 ABGB berechtigen kann. Sofern die Irrtumsanfechtung hier möglich ist, steht diese zusätzlich zum Rücktrittsrecht für Konsumenten bei Internetgeschäften nach der Verbraucherrechte-Richtlinie, die jedenfalls Anwendung findet und Verbrauchern 14 Tage Zeit zum Überdenken ihres Online-Kaufs gibt. Ob ein Verschweigen des personalisierten Preises durch Einführung der Informationspflicht mittels Omnibus-RL neben einer Verwaltungsstrafe auch zu einer gänzlichen Ungültigkeit des Vertrags kommen kann, ist hierzu näher auszuführen.

 

Sittenwidrigkeit

Teils wird angenommen, dass bereits dynamische Verträge, die keinen Referenzpreis ausweisen, sittenwidrig sein müssten. Dieser Ansicht folgend wären somit bereits eine Vielzahl der heute gängigen Onlinegeschäfte sittenwidrig, jedenfalls denkbar ist jedoch die Sittenwidrigkeit hinsichtlich personalisierter Preise ohne Angabe der Personalisierung bzw eines Referenzpreises. Das E-Commerce-Gesetz enthält hinsichtlich der Preisausweisung nur die Auflage, diese einschließlich der Umsatzsteuer auszuweisen und anzugeben, ob Versandkosten enthalten sind oder nicht. Weitere Bestimmungen hinsichtlich Informationspflichten bzw Zusammensetzung des Preises sind aus diesem Gesetz nicht ersichtlich.

 

Diskriminierungen

Bei Entscheidungen durch Programme, die direkte Auswirkungen auf die betroffenen Personen haben, kommt es auf deren Werteneutralität an, um die Diskriminierung von Personen zu vermeiden. Hier ist auf den verfassungsrechtlichen Rahmen abzustellen und zu prüfen, inwiefern im Zivilrecht, insbesondere in der Beziehung B2C Drittwirkung entfalten kann. In der deutschen Judikatur wurde eine solche mittelbare Drittwirkung im Verhältnis zwischen Privaten bereits angenommen, wenn eine Person aufgrund einer Monopolstellung eines anderen ohne sachlichen Grund von der „Teilhabe am gesellschaftlichen Verkehr“ ausgeschlossen wird. Ob personalisierte Preise diese Voraussetzung erfüllen können ist durch verschiedene, mögliche Konstellationen zu klären.

Denn auch Algorithmen sind nicht unfehlbar und immer wertneutral, wie sich bereits in der Vergangenheit gezeigt hat: Als Beispiel einer diskriminierenden Entscheidungsfindung durch Algorithmen sei hier auf die Apple-Kreditkarte hinzuweisen, die Männern bei gleicher Kreditwürdigkeit wie Frauen einen 20-fach höheren Kreditrahmen zuwies. In diesem Beispiel konnte die Diskriminierung leicht aufgedeckt werden, da hier nur der Faktor des Geschlechts entscheidend war, jedoch ist im Zusammenspiel mehrerer Faktoren infolge der Intransparenz des Algorithmus eine Diskriminierung nicht mehr so einfach nachweisbar.

In Österreich können Verstöße gegen das Gleichbehandlungsgebot nach § 31 GlBG zivilrechtlich geltend gemacht werden und sind hinsichtlich personalisierten Preisen in bestimmten Fällen sowohl für direkte als auch indirekte Diskriminierung denkbar. Sofern der Algorithmus für seine Entscheidungsfindung beispielsweise das Geschlecht für die Preiserstellung eines Produkts miteinfließen lässt, hat die betroffene Person neben Schadenersatzanspruch, Ersatz des Vermögensschadens und Entschädigung für die erlittene persönliche Beeinträchtigung auch den Anspruch auf Beseitigung der Diskriminierung. Die betroffene Person hat nach § 12 Abs 12 GlbG die Verletzung glaubhaft zu machen, was im Falle einer Diskriminierung durch einen Algorithmus mit mehreren beeinflussenden Faktoren für den Durchschnittsverbraucher der nicht das entsprechende, technische Know-How besitzt schwer bis kaum möglich sein wird. 

Auch die Geoblocking-VO (EU) 302/2018 verbietet Diskriminierungen von Verbrauchern aufgrund ihres Wohnsitzes bzw ihrer Staatsbürgerschaft bei grenzüberschreitenden Online-Käufen.  Somit dürfen EU-Bürger nicht von Angeboten aus anderen EU-Ländern ausgeschlossen werden, inwiefern diese RL eine Personalisierung aufgrund dieser Daten untersagt, ist zu prüfen. Oftmals kann eine Miteinbeziehung des Wohnorts oder der Herkunft aufgrund fehlender Transparenz der Algorithmen nicht ausgeschlossen werden.

Diese Diskriminierung kann auch durch das Erlernen falscher Schlussfolgerungen aufgrund bereits diskriminierender Trainingsdaten herrühren. Hier wird in diesem Zusammenhang über die Verpflichtung der Zugänglichkeit der Trainingsdaten für Betroffene bzw. der europaweiten Einführung einer verpflichtenden Benutzung einheitlicher Trainingsdaten diskutiert um einen gewissen Schutz auf Datenebene zu gewährleisten.

Auch wird das wissentliche Manipulieren eines Algorithmus zur Erschleichung eines vorteilhaften personalisierten Preises durch Verbraucher behandelt sowie dessen potentielle Rechtsfolgen. Dies einerseits durch Verschleierung mittels Proxy-Servern sowie Annahme einer falschen Identität (durch beispielsweise Länderwechsel) zur Erschleichung von Vorteilen. Die Annahme der falschen Identität ist in der aktuellen Konstellation meist nur ein Wechsel des Landes mittels IP-Changer, kann jedoch bei Einführung personalisierter Preise auch weiter bis zur realistischen Erstellung und Benutzung ganzer Online-Personenprofile gehen.

Zivilverfahrensrechtliche Überlegungen

Neben oben erwähnten Fragen sind auch die verfahrensrechtlichen Regelungen hinsichtlich der Beweiserbringung (ob ex post nachvollziehbar/beweisbar bleibt, welche Daten den Preis herbeigeführt haben und von wem/wie dieser Nachweis im Verfahren zu erbringen ist) entscheidend, um sich als Verbraucher gegen personalisierte Preise zur Wehr setzen zu können. Auch mögliche Erleichterungen der Beweiserbringung (zB. Einführung eines Anscheinsbeweises, Beweislastumkehr) sowie andere Instrumente zur Durchsetzung im zivilgerichtlichen Verfahren werden in diesem Teil diskutiert und deren Auswirkungen beleuchtet.

Mag. iur. Felix Kodolitsch

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Felix Kodolitsch ist Dissertant an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz. Er arbeitet derzeit als Universitätsassistent am Institut für Zivilrecht, Ausländisches und Internationales Privatrecht im Arbeitsbereich von Institutsleiterin Univ.-Prof. Dr.iur. Brigitta Lurger LL.M. (Harvard).
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