Gegenräume
Digitale Welten sind für alle die besonders reizvoll, denen in der physischen Welt die nutzbaren Räume abhanden kommen. (21.08.2018)
Förderjahr 2017 / Stipendien Call #12 / ProjektID: 2422 / Projekt: Repräsentationen des digitalen Spielens

Soziales Miteinander braucht Raum. Das klingt nach einer trivialen Erkenntnis, wird aber immer wieder gerne vergessen, wenn Stadtteile geplant oder Gesetze verabschiedet werden. Gruppen, die sich das Bier im Gastgarten nicht leisten können oder die in den Augen der Entscheidungsträgerinnen und -träger nicht ins Stadtbild passen, kommen diese benötigten Räume mehr und mehr abhanden. Neben anderen sind das vor allem auch die Jugendlichen. Sie werden im öffentlichen Raum oft vorrangig als Ordnungsgefährdung und Lärmbelästigung wahrgenommen, die es zu kontrollieren gilt. Also steigt das Ausmaß an Überwachung, sowohl durch die Exekutive als auch durch die Eltern und die Räume müssen anderswo gefunden werden.

Anderswo bedeutet in vielen Fällen online. Wie etwa eine umfangreiche Studie von Danah Boyd zu jugendlicher Mediennutzung in den USA zeigt, verschiebt sich ein guter Teil des Soziallebens in die Online-Welten sozialer Netzwerke und Spiele. Und das passiert zu einem guten Teil auch deswegen, weil die Möglichkeiten zum ungestörten und unbeobachteten Miteinander immer seltener gegeben sind. In Boyds Interviews erzählen viele Jugendliche von der durch die Eltern verplanten Freizeit und den beschränkten Möglichkeiten, sich außerhalb des Hauses frei zu bewegen. Begründet wird das meist mit der Sorge um die Sicherheit der Jugendlichen. Obwohl Studien belegen, dass Jugendliche in den USA heute in einer sichereren Welt leben als noch vor 30 Jahren.

In Österreich ist die Sache nicht grundlegen anders. In den Städten kommen die konsumfreien Zonen abhanden, laut kriminalsoziologischen Studien steigt die Bereitschaft, Jugendliche aufgrund kleiner Vergehen anzuzeigen und in Gesprächen erzählen Schülerinnen und Schüler, dass sie oft nicht einmal alleine zu ihren Freundinnen und Freunden radeln dürfen. Die Verwunderung über den enormen Reiz von Online-Welten sollte sich also in Grenzen halten. Vor allem digitale Spiele bieten Möglichkeiten, an einer Öffentlichkeit teilzuhaben, sie mit den Menschen zu erkunden, die man dabei haben will und den Blicken derer zu entgehen, die sonst über alle Lebensbereiche zu wachen scheinen. Für viele Jugendliche sind Spiele ein Stück zurückeroberter Freiheit. Kein Wunder, dass sie bereit sind dafür zu streiten und Regeln zu brechen. Wenn sich dann andere Formen der Freiheit auftun, verlieren die digitalen Welten oft auch wieder an Reiz – in einigen der in meinen Interviews erhobenen Gaming-Biographien sackt der Spielkonsum mit dem ersten Moped oder Auto gegen Null und erwacht gegebenenfalls in der ersten WG oder nach der ersten großen Trennung wieder zum Leben.

Harald Koberg

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Harald Koberg ist Doktorand am Institut für Kulturanthropologie und Europäische Ethnologie der Karl-Franzens-Universität Graz und leitet den Bereich für digitale Spiele bei Ludovico, einem Verein zur Förderung des Spielens, der Spielkultur und der Spielpädagogik.
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