Sind virtuelle Werteinheiten Sachen im Sinne des ABGB?
Sachbegriff des § 285 ABGB (05.11.2022)
Förderjahr / Stipendien Call #16 / ProjektID: 5693 / Projekt: Kryptowerte in der Insolvenz

Damit virtuelle Werteinheiten vollumfänglich in die österreichische Rechtsordnung eingeordnet werden können, muss als zentrale Frage zunächst beantwortet werden, ob es sich bei diesen um Sachen im Sinne des ABGB handelt. Der Sachbegriff des allgemeinen Privatrechts ist in § 285 ABGB legaldefiniert. Nach jenem (naturrechtlichen) Begriff handelt es sich bei Sachen um Rechtsobjekte, die sich vom Menschen unterscheiden und dessen Gebrauch dienen.

Ein Gegenstand unterscheidet sich vom Menschen dann, wenn dieser weder Teil des menschlichen Körpers noch mit diesem verbunden ist. Der Sachbegriff des § 285 ABGB dient daher zur Abgrenzung und gewissermaßen als Gegenbegriff zum Menschen. Dem Gebrauch des Menschen dient ein Gegenstand dann, wenn er auch tatsächlich vom Menschen beherrscht werden kann. Keine Sache im Sinne des § 285 ABGB sind daher das offene Meer und die (unabgefüllte) Luft. Sobald jene Gegenstände jedoch – etwa im Falle einer Abfüllung in Flaschen – separiert werden, erfüllen sie den Sachbegriff des § 285 ABGB. Auch der technologische Fortschrift im Zuge der Digitalisierung kann dazu führen, dass ein vormals unbeherrschbarer Gegenstand dem Gebrauch des Menschen unterworfen – und damit zur Sache – wird.

Wie aus diesen beiden Erfordernissen bereits geschlossen werden kann, hat der historische Gesetzgeber einen weiten Sachbegriff definiert. Neben körperlichen Gegenständen fallen daher auch – im Sinne der naturrechtlichen Einflüsse der damaligen Zeit – unkörperliche Gegenstände unter den Sachbegriff des § 285 ABGB. Neben Forderungsrechten, Immaterialgüterrechten und Dienstleistungen fallen ebenso zahlreiche Digitalisate unter § 285 ABGB: So wurden in der Vergangenheit bereits elektronische Daten, Internet-Domains, Emissionszertifikate, Software und Güter in Videospielen unter jenen Begriff subsumiert.

Unabhängig von deren Einordnung als körperliche oder unkörperliche Gegenstände können virtuelle Werteinheiten daher zweifellos unter den Sachbegriff des § 285 ABGB subsumiert werden. Sie unterscheiden sich als Datenbankeinträge in einer dezentralen Blockchain vom Menschen. Virtuelle Werteinheiten wie der Bitcoin werden als Tausch- bzw Zahlungsmittel verwendet, weswegen sie jedenfalls dem Gebrauch des Menschen dienen können. Gerade die Beherrschbarkeit durch den Menschen ist bei virtuellen Werteinheiten außergewöhnlich stark ausgeprägt, weil auf diese nur dann zugegriffen werden kann, wenn der korrespondierende private Schlüssel bekannt ist. Dieser Eigenschaft wird im Zuge der nachfolgenden zuordnungsrechtlichen Analyse noch eine bedeutende Rolle zukommen.

Summa summarum kann daher festgehalten werden, dass virtuelle Werteinheiten zweifellos den Sachbegriff des § 285 ABGB erfüllen. In den nächsten Blog-Beiträgen wird ein detaillierterer Blick auf die Einordnung virtueller Werteinheiten in die Privatrechtsordnung geworfen und ergründet, welche weiteren Eigenschaften diesen zugeordnet werden können.

Dr. Tobias Weidinger

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Dr. Tobias Weidinger hat seine Dissertation an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Karl-Franzens-Universität Graz verfasst. Während dieser Zeit arbeitete er als Universitätsassistent am Institut für Zivilverfahrensrecht und Insolvenzrecht im Arbeitsbereich von Vizedekanin und Institutsleiterin Univ.-Prof. Dr. Bettina Nunner-Krautgasser und war bereits während seines Studiums an zwei rechtswissenschaftlichen Instituten der Karl-Franzens-Universität als Studienassistent tätig.

Seine Forschungsgebiete umfassen insbesondere Insolvenzrecht, Zivilverfahrensrecht, Privatrecht, Legal Tech und IT-Recht. Dr. Weidinger arbeitete zuvor bereits als Rechtshörer am Landesgericht für Zivilrechtssachen in Graz, als Legal Intern bei zwei renommierten Kanzleien und war mehrere Jahre als freier Werbetexter tätig. Er war Lektor und Mitherausgeber des Law@Graz-Magazins, ehrenamtlicher Mitarbeiter der Fakultätsvertretung Jus und einige Jahre als Referent für Schulsport im Vorstand des Steirischen Badminton Verbandes (StBV) tätig.

Nunmehr ist Dr. Weidinger als Wirtschaftsjurist in der Privatwirtschaft tätig.

Skills:

Insolvenzrecht
,
Zivilverfahrensrecht
,
Zivilrecht
,
IT-Recht
,
Datenschutzrecht
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